Die Idee, dass der Tod nichts ist was man fürchten müsste ist weit verbreitet. Schon Sokrates argumentierte in den Apologien, dass der Tod nichts Schlechtes sein könne, da ihn sein Daimonion, seine innere Stimme ihn nicht davor gewarnt habe und Platon selbst freute sich regelrecht auf das, was ihn nach dem Tod erwarten würde.
Tatsächlich ist es eine in den Religionen der Welt weit verbreitete Idee, dass das eigentliche, das echte Leben erst beginnt, wenn das irdische sein Ende gefunden hat.
Epikur jedoch hätte dies erst einmal nicht unterschrieben. Aus seiner Sicht galt der Tod als das am meisten Schrecken verursachende Übel und genau deswegen sah er es als seien Aufgabe ihm diesen Schrecken zu nehmen.
Dies tat er jedoch nicht, indem er den Menschen ein besseres Leben nach dem diesseitigen versprach, ganz im Gegenteil, er beschäftigte sich mit der Frage, wie der Tod zu bewerten sei, wenn er schlicht das Ende des Bewusstseins darstellen würde.
Seine Schlussfolgerung ist so klar wie plausibel: „Gewöhne dich an den grundlegenden Gedanken, dass der Tod für uns ein Nichts ist. Denn alles Gute und alles Schlimme beruht darauf, dass wir es empfinden. Verlust aber dieser Empfindungen ist der Tod. So ist also der Tod, das schauervollste Übel für uns ein Nichts; wenn wir da sind, ist der Tod nicht da, aber wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr. Er geht also weder die Lebenden noch die Gestorbenen an; für die einen ist er ja nicht vorhanden, die anderen aber sind für ihn nicht mehr vorhanden.“ Entsprechend sollten wir in unserem Leben möglichst wenig Zeit damit zubringen uns mit dem Tod zu beschäftigen.
Aber kann diese Betrachtungsweise tatsächlich Erfolg haben? Das häufigste Argument, welches gegen ihn vorgebracht wird ist, dass es nicht der Tod, sondern die Erwartung des Todes ist, welcher den Menschen Probleme bereitet. Nur weil wir im Tod das Bewusstsein des Lebens verlieren heißt das nicht, dass wir im Leben das Bewusstsein des Todes verlieren.
So meint der amerikanische Philosoph Warren Shibles, dass wir den Zustand des Todes wohl nicht fürchten können, da wir danach nicht bei Bewusstsein sein werden, aber das wir sicherlich fürchten können unser Bewusstsein zu verlieren (Shibles, Death: An Interdisciplinary Analysis, 1974, 38). Epikur würde allerdings wohl erwidern, dass dasjenige, was uns nicht zur Last fällt, wenn es zugegen ist, uns grundlos bedrückt, solange es noch aussteht. Und damit hat er natürlich recht. Wir freuen uns auf Dinge, die angenehme sind, fürchten Dinge, die uns Leid versprechen und entsprechend sollte die Erwartung des Neutralen neutral sein.
Vielleicht bezieht sich Shibles auch auf den Moment des Bewusstlos-werdens, der eventuell unangenehm sein könnte und so hat auch der Tod noch die ein oder anderen unangenehmen Nebenaspekt, wie zum Beispiel das Sterben, wobei hier Thomas Nagel mit der Feststellung einhakt: Es wird manchmal suggeriert, dass die Menschen nicht sosehr den Tod, wie den Prozess des Sterbens fürchten. Aber ich hätte nichts dagegen zu sterben, wenn ich danach nicht tot wäre.[1] Aber so oder so, über diese Momente redet Epikur nicht. Ihm geht es um den Zustand des tot seins und um nichts anderes.
Und tatsächlich würde ich mich den Gegenargumenten auch nicht anschließen wollen. Ich halte Epikurs Überlegungen für durchaus schlüssig und wenn Menschen in der Lage wären sein Argument wirklich zu verstehen könnte es tatsächlich dabei helfen die Furcht vor dem eigenen Ende zu mildern, aber hier ist eben auch die Krux, denn ich bezweifele stark, dass jemand in der Lage sein wird sich vorzustellen nicht zu sein.
Hierzu kann man sehr gut Descartes heranziehen, der beobachtete, dass selbst wenn ich daran zweifele das ich bin, es immer noch das zweifelnde Ich geben muss. So kommt er dann auch zu dem allseits bekannten Schluss, Ich denke also bin ich. Und obwohl viel Kritik an diesem Satz geübt wurde drückt er dennoch einen wichtigen Aspekt der Alltagspsychologie aus: Ich kann mich nicht wegvorstellen und ich glaube, dass hierin der eigentliche Grund liegt, warum Epikurs Argument nicht greift. Wir können seine Prämissen nicht wirklich akzeptieren, bzw. nur oberflächlich, etwa so, wie Mathematiker mit der Unendlichkeit, sogar verschiedener Ordnungen umgehen und diese „verstehen“ können, sich aber ebenso wenig einen unendlichen Raum vorstellen können wie jeder andere Mensch. Dies merkt man auch daran, wie wichtig es vielen Menschen ist etwas zu hinterlassen, bzw. an den Sorgen, die sich manch einer darüber macht, was seine Browser Geschichte über ihn aussagt, sollte er unvorhergesehen ein Ende finden. Dies wäre natürlich, nach Epikur völlig unnötig.
Aber ist dies wirklich ein so wichtiger Grund für die Furcht vor dem Tod? Nagel sagt nein, wenn er schreibt:
“ Es wird oft gesagt, dass diejenigen, die etwas gegen den Tod einzuwenden haben den Fehler gemacht haben sich vorzustellen wie es wohl wäre tot zu sein. Dabei wird unterstellt, dass das Versagen sich dies vorzustellen (aus dem banalen Grund, dass es nichts zum Vorstellen gibt) zu der Überzeugung führt, dass der Tod eine mysteriöse und daher furchterregende Aussicht darstellt. Aber diese Diagnose ist offensichtlich falsch, denn es ist genauso unmöglich sich vollständig bewusstlos vorzustellen […]. Dennoch sind Menschen, die den Tod fürchten zumeist nicht so furchterfüllt, wenn es um eine Ohnmacht geht (zumindest so lange keine signifikante Verkürzung ihres wachen Lebens damit verbunden ist).[2]
Auf den ersten Blick scheint Nagel ein valides Argument zu präsentieren: Die Vorstellung des tot-seins kann nicht so unangenehm sein, wenn die Vorstellung des Bewusstlos-seins doch auch nicht problematisch ist.
Vielleicht holen wir das ganze mal vom abstrakten ins konkrete und überprüfen Nagels Annahme. Stellen wir uns nun alle einmal vor wie es ist bewusstlos zu sein….
Fertig?
In der Regel gibt es für diesen Zustand zwei Bilder:
1) Man sieht sich vor seinem inneren Auge selbst daliegen
2) Man sieh schwarz
Tatsächlich also, konnten wir uns den Zustand des Nichtseins nicht vorstellen und das gilt natürlich sowohl für den Tod, als auch für das bewusstlos sein. Aber ich denke, dass dennoch ein Unterschied zwischen beiden besteht, denn wenn ich sie nun bitten würde sich vorzustellen wie es sich wohl anfühlen würde jetzt für 20 Minuten das Bewusstsein zu verlieren würden sie sich wahrscheinlich vorstellen das ihnen schwarz vor Augen wird…also der noch bewusste Teil des Bewusstlos-werdens und dann würden sie sich vorstellen in einer anderen Position, vielleicht an einem anderen Ort, auf einer Couch oder vielleicht sogar im Krankenhaus, wahrscheinlich noch leicht benommen, die Augen wieder zu öffnen.
Hier ist der Unterschied. Wir alle wissen wie es ist bewusstlos zu werden, man nennt es Schlaf, aber gleichzeitig, wenn wir darüber nachdenken ist das wiedererwachen direkt mitgedacht.
So handelt es sich lediglich um eine Pause, die wir nicht einmal mitbekommen, sich aber vorzustellen in dieser Pause zu verschwinden ist furchteinflößend und zwar gerade, weil wir es nicht können.
[1] Nagel 1979 p.10 [It is sometimes suggested that what we really mind is the process of dying. But I should not really object to dying were it not followed by death]
[2] Nagel 1979 pp.3-4 (“It is often said that those who object to death have made the mistake of trying to imagine what it is like to be dead. It is alleged that the failure to realize that this task is logically impossible (for the banal reason that there is nothing to imagine) leads to the conviction that death is mysterious and therefore a terrifying prospective state. But this diagnosis is evidently false, for it is just as impossible to imagine being totally unconscious as to imagine being dead […]. Yet people who are averse to death are not usually averse to unconsciousness (so long as it does not entail a substantial cut in the total duration of waking life)”.